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Intro
Alina: Hi, schön, dass ihr wieder dabei seid. In der heutigen Folge geht´s um´s Thema “Von Codes bis Connectivity: Warum gehört IT-Talenten die Zukunft?“.
Vincenzo: Dazu sprechen wir mit Andrea Morgan-Schönwetter. Sie ist Leiterin Recruiting & Talent Marketing hier bei Volkswagen in Wolfsburg.
Alina: Und mit Dr. Max Senges. Er ist CEO und Rektor der Programmierschule 42 Wolfsburg. Diese ist Teil des internationalen Bildungsnetzwerks 42 aus Frankreich, das für sein innovatives Ausbildungskonzept bekannt ist.
Vince, wir haben ja schon in der ersten Folge mit Ole Reuss gesprochen und da einen kleinen Einblick bekommen, welchen Stellenwert IT-Fachwissen heute hat und künftig bei Automobilunternehmen haben wird.
Vincenzo: Das war ne richtig spannende Folge und ein richtig spannendes Gespräch mit Ole, finde ich. Und ich erinnere mich gerne an den Begriff „Deutsche Softwarekunst“, den es so noch gar nicht gibt, aber wir auf einem guten Weg sind, dass es den einmal geben kann. Und kleiner Tipp: Hört doch mal in die erste Folge rein, die war richtig spannend.
Alina: Heute sehen wir uns Berufsbilder und Talente dahinter ein bisschen genauer an, also zum Beispiel Robotik Expertinnen und Experten oder 3D Designerinnen und Designer. Wie kommen Mobilitätsunternehmen an diese Talente? Das ist die Frage, die wir uns stellen.
Vincenzo: Ich denke, da ist auch ganz spannend zu betrachten, dass gerade bei diesen Berufsgruppen, die ja auch sehr bei der jüngeren Generation verortet sind, Dinge wie Remote-Arbeiten oder andere Arbeitswelten und innovative Unternehmenskulturen sehr wichtig sind.
Alina: 86.000 Stellen waren im IT-Bereich bis Ende 2020 hier in Deutschland vakant.
Vincenzo: Bestätigt wird das ganze vom statistischen Bundesamt. Mehr als Zwei Drittel deutscher Firmen berichten von Schwierigkeiten, IT-Fachkräfte einzustellen.
Alina: Wenn wir, wie Ole gesagt hat, das Auto neu denken müssen, von der Software aus, dafür braucht´s ja IT-Wissen und das können sich ja auch Expertinnen und Experten aneignen aus anderen Fachbereichen, die vielleicht schon längst im Berufsleben stehen.
Vincenzo: Und genau dem wollen wir heute auf den Grund gehen. Warum brauchen wir eigentlich IT-lerinnen und IT-ler? Und wo kommen die her? Und wie verändert das Streben nach diesen Talenten die Unternehmenskultur?
Alina: Wir haben jetzt eine Expertin zu Gast, die weiß, wie der Wettbewerb um die besten IT-Talente abläuft und die uns vor allem auch verraten kann, wie schwer es denn jetzt wirklich ist, eine IT-Stelle zu besetzen und warum. Andrea Morgan-Schönwetter ist Leiterin Recruiting & Talent Marketing bei Volkswagen.
Interview mit Andrea Morgan-Schönwetter
Alina: Hallo Andrea. Hallo Andrea.
Andrea: Hallo ihr zwei.
Alina: Andrea, früher konnten sich Unternehmen die besten Bewerberinnen und Bewerber aussuchen. Ist das heute umgekehrt – gerade mit Blick auf die IT-Sparte?
Andrea: Ja auf jeden Fall. Ich glaube grundsätzlich hat sich der Arbeitsmarkt einfach verändert. Es ist eher ein Arbeitnehmermarkt geworden, aber gerade im IT-Umfeld ist es so. Weil die IT-Talente echt überall gesucht werden. Es ist eben nicht mehr nur die IT-Sparte, wo die IT-ler gefragt sind, mehr denn je, sondern tatsächlich einfach übergreifend in allen Unternehmen. Das sieht man ja auch an den Bitcom-Zahlen, dass sogar in 2020 trotz Pandemie immer noch 86.000 offene IT-Stellen vorhanden waren in Deutschland. Und daran erkennt man einfach, dass der Bedarf an IT-lern jedes Jahr deutlich steigt.
Alina: Warum gibt es jetzt relativ gesehen so wenige IT-Expertinnen und Experten?
Andrea: Ich glaube, auf der einen Seite tun wir tatsächlich noch nicht genug dafür, dass Schüler, junge Leute einfach verstehen, wo überall IT drin steckt. Tatsächlich ist es für viele einfach nicht so ganz anfassbar, greifbar, es ist zu abstrakt, und deshalb entscheiden sich vielleicht auch gar nicht so viele dann, vor allem vielleicht auch junge Mädchen, in so eine Richtung zu gehen, (Wirtschafts-) Informatik zu studieren, und sehen vielleicht auch nicht, dass man nicht unbedingt dem klassischen Computer-Nerd-Klischee entsprechen muss, um in der IT zu arbeiten. Momentan steckt ja tatsächlich in allem IT und ich glaube, da müssen wir alle daran arbeiten, dass wir deutlich mehr Menschen noch dafür begeistern können, sich diesem Themenfeld zu widmen und da eine Ausbildung zu machen, ein Duales Studium, ein Studium, was auch immer.
Vincenzo: Du hast vorhin den Begriff IT-Talent benutzt. Wir benutzen ihn auch häufig, Aber was ist denn genau ein IT-Talent? Was verstehen wir darunter?
Andrea: Also Talent, darüber kann man jetzt streiten, was ist jetzt konkret ein Talent. Es ist immer jemand, der Unternehmen oder einen einzelnen Bereich weiterbringt, in dem Umfeld, in dem es jeweils tätig ist. Ich würde es jetzt tatsächlich so verstehen, dass es wirklich um alle Jobprofile im Bereich der Digitalisierung der Unternehmen geht.
Also überall da, wo wir Leute suchen, die uns helfen, die Digitalisierung im Unternehmen weiterzuführen, dort spricht man gerne von IT-Talenten. Diverser kann man´s gar nicht sehen. Ich habe mir auch noch mal überlegt, welche IT-Profile sind denn die wichtigsten, aber da gibt es wirklich so große Bandbreiten, von den klassischen Software-Entwicklern, IT-Architekten, Produktmanager, aber auch Cyber Security Spezialisten, SAP-Experten – die Liste kann man unendlich fortführen. Aber am Ende geht’s eben tatsächlich um alle unterschiedlichen Themen, die da bearbeitet werden können, in diesem Umfeld.
Alina: Wir wollen hier auch vor allem den Blick auf Automobilindustrie richten. Wozu brauchen wir denn in dieser Branche die IT- und Softwarespezialistinnen und -spezialisten?
Andrea: Für relativ viele Themen. Auf der einen Seite natürlich für unsere Konzern-IT, wo wir kucken, wie können wir Logistik- und Produktionsprozesse digitalisieren und mit IT unterstützen. Auf der anderen Seite aber auch ganz klar im Bereich der Fahrzeug-Vernetzung, also intelligente Fahrzeuge, die ihre Daten untereinander austauschen. Wenn wir an automatisiertes und autonomes Fahren denken, aber auch im Bereich der Mobilitätskonzepte und Mobilitätsdienste. Wir wollen das Auto zu einem intelligenten Smartphone mit vier Rädern entwickeln, also da gibt es sehr viele Themen, die sozusagen am Ende IT benötigen. Auch im Personalbereich, wir brauchen auch IT-Experten, die Personalsysteme fit machen, für Chatbots, RPA-Bots, alle Themen, wo´s um Digitalisierung und Automatisierung geht, dort brauchen wir IT-Experten, auch in der Automobilbranche.
Vincenzo: Woher kommen diese Talente? Kommen die aus Deutschland, aus dem Ausland oder bilden wir die intern hier bei Volkswagen selbst aus?
Andrea: Sowohl als auch. Momentan finden wir tatsächlich noch viele Kollegen in Deutschland, aber der Anteil an internationalen Kollegen steigt kontinuierlich, weil wir den Bedarf an IT-Experten im Inland nicht so einfach decken können, insofern kucken wir über Landesgrenzen hinaus. Aber wir bilden natürlich auch selbst aus, wir haben klassische IT-Ausbildungsberufe, oder auch duales Studium im IT-Umfeld, aber eben auch über die Fakultät 73, wo wir neue interne oder externe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Zwei-Jahres-Programm zu Software-Entwicklern ausbilden.
Alina: Die IT-Branche steht ja für Schlagworte wie New Work oder agiles Arbeiten – wie passt das mit Volkswagen zusammen?
Andrea: Ja, da denkt man immer so großes Unternehmen, kann es da solche Themen schon geben? Na klar. Wir sind noch nicht überall so agil aufgestellt, aber große Unternehmen haben den Vorteil, dass es ganz unterschiedliche Bereiche gibt. Aus meiner Erfahrung gibt es schon extrem viele Bereiche, wo agile Arbeitsweisen und auch ein Geist des „New Works“ da sind. Unter New Work kann man ja auch immer wahnsinnig viel verstehen, was versteht man tatsächlich darunter? Geht es nur um klassische Themen wie große offene Räume und Kollaborationsflächen oder geht’s tatsächlich auch um den Mindset, der dahinter steht? Weniger Hierarchien, Verantwortung teilen, Ownership, Beteiligung, Mitgestaltung… Und ich glaube, da gibt es in unserem Unternehmen schon ganz viele Bereiche, wo es schon sehr selbstverständlich ist, und andere Bereiche, wo es noch eher klassisch zugeht. Genau das ist der spannende Part. So ein großer Dampfer braucht halt etwas länger, bis er sich dreht, nimmt dann aber deutlich Fahrt auf.
Vincenzo: Und wie schaffen wir es als Volkswagen, dass diese Expertinnen und Experten bei uns bleiben? Was sind die Perspektiven, die wir bieten?
Andrea: Also grundsätzlich würde ich sagen, momentan sind wir echt einer der spannendsten Plätze, wo man überhaupt arbeiten kann, also erst mal zu sagen, bei uns ist so viel Transformation, das ist der Kern, die Automobilbranche transformiert sich so sehr und bei uns kann man das tatsächlich mitgestalten und miterleben. Das ist ja auch ein entscheidender Punkt für neue Generationen, die zu uns kommen. Die wollen wirklich etwas mitgestalten, die wollen spannende Arbeitsaufgaben haben und sich entsprechend auch weiterentwickeln. Und ich glaub, wir haben das ganze Umfeld und all diese Methoden parat, um diese Leute weiterhin an uns zu binden: Es gibt Entwicklungsprogramme, z. B. VW Group Academy, Entwicklungspfade, betriebliche Altersvorsorge, meine persönliche Personalentwicklung - die Themen gibt es bei uns sowieso. Es gibt eine Bandbreite, der Konzern ist so groß, ich kann von einer Marke zur anderen gehen, ins Ausland gehen, ich kann an den unterschiedlichsten Themen arbeiten, ich glaube, da haben wir überhaupt nur Vorteile zu bieten.
Vincenzo: Andrea, danke dir für deine Zeit und diese tollen Einblicke in dein spannendes Themenfeld.
Andrea: Sehr gerne, hat Spaß gemacht.
Vincenzo: Mach´s gut und schönen Tag dir noch.
Alina: Bis dann, Tschüss!
Vince, mich freut´s total, dass Andrea uns hat erklären können, woher denn dieser Mangel an IT-Talenten eigentlich kommt. Dass eben IT Talente nicht nur noch in IT-Unternehmen gebraucht werden, sondern auch in sämtlichen anderen Unternehmen und Branchen, die sich im Zuge der Digitalisierung auch neu aufstellen.
Vincenzo: Auf jeden Fall. Spannend fand ich auch, dass sie gesagt hat, dass sich dieses klassische Computer-Nerd-Klischee, das wir alle im Kopf haben, aufgebrochen wird und die Jobs, die dahinter stecken, einfach „normal“ werden. Gerade für den Nachwuchs ist es schon wichtig, früh mit IT-Themen in Berührung kommen. Denn wir haben gesehen, dass IT-Jobs in der Autobranche nicht nur wichtig für klassische Themen wie KI und autonomes Fahren sind, sondern auch in Bereichen wie Recruiting.
Alina: Einer, der sich mit Innovationen und Trends in der Automobilindustrie auskennt, ist Dr. Max Senges. Er ist CEO und Rektor der Programmierschule 42 Wolfsburg. Diese Schule ist sozusagen ein Ableger der 42 aus Frankreich und damit ist sie Teil eines internationalen Bildungsnetzwerks, das vor allem für sein innovatives Ausbildungskonzept bekannt ist.
Interview Dr. Max Senges
Alina: Hi Max, schön, dass du da bist.
Max: Hi, schön, dass ihr mich eingeladen habt, vielen Dank.
Alina: Verrat uns doch zum Anfang direkt zwei Dinge: Was ist die Programmierschule 42 Wolfsburg und was ist dein Job?
Max: Ja, die 42 ist natürlich vor allem erst mal die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, des Universums und all sowas. Das heißt, wir sind eine Schule, die mit einer Antwort anfängt und dann ganz viel motivierte junge und alte Leute zusammen bringt, die herausfinden wollen, was denn eigentlich die richtigen Fragen sind, um so eine tolle Antwort zu bekommen.
Wir sind eine Programmierschule in Wolfsburg, die Ende 2022 600 Studenten beherbergen wird, die bei uns Software Engineering lernen, und das auf eine ganz besondere Weise, indem sie Peer Learning betreiben, Wissen nicht von einem Lehrer / Professor vermittelt bekommen, sondern miteinander sich diesen Wissensraum programmieren, erarbeiten und dabei auch noch ganz viele Teamfähigkeiten- und Eigenverantwortungs- Mindset-Aspekte mitnehmen.
Alina: Da stellt ihr euch sicherlich auch Fragen, was künftig an Innovationen gebraucht wird. Uns interessiert vor allem Mobilität und die Automobilbranche. Welche IT-Innovationen erwarten uns künftig?
Max: Ja, das ist ein Riesenthema bei uns aufgrund der Örtlichkeit. Mobilität in Niedersachsen ist ja ganz weit oben. Und der größte Sponsor ist Volkswagen. Da haben wir uns überlegt, was können wir tun, um die nächste Generation von Software-Ingenieuren auszubilden, die speziell die Themen Automotive und Mobility im Fokus haben. Und dazu haben wir erst mal gesagt, das wissen wir als kleine, neue Schule nicht selber, sondern haben ganz viele Experten aus Wissenschaft und Industrie eingeladen, Fellows zu werden. Und mit diesen Fellows entwickeln wir jetzt genau dieses Ausbildungsprogramm, um eben die Innovationsfelder, die es im Bereich Digitalisierung in der Automobilbranche gibt. Eine Erfahrung hat gezeigt, dass die Standardisierung von der klassischen Produktion schon viele Innovationen möglich gemacht hat, und Effizienzen und Skalierungseffekte geschaffen hat, und wir glauben, dass die Digitalisierung den nächsten Innovationsmotor darstellt.
Das geht los mit dem Betriebssystem im Auto. Stichwort Computer auf Rädern. Das heißt, er wird erst mal hochgefahren und dann muss man schauen, wie werden die Sensoren, Motoren, Displays angesteuert werden. Das ist eine Riesenaufgabe, die gerade in der Car.Software.Org [heute CARIAD] für Volkswagen angegangen wird. Und das interessiert uns auf einem abstrakteren Niveau auch: Wie kann dieses Betriebssystem funktionieren? Da oben dran gibt’s dann weitere Themen wie zum Beispiel das Autonome Fahren: wie können Autos autonom und vor allem auch kooperativ fahren, d. h. sich miteinander austauschen. Besonders spannend, da viel Open Source und Open Standards gefragt sind, wenn man mit unterschiedlichsten Akteuren und fahrenden Gegenständen in einem Mobilitätsökosystem zusammenkommt. Das also, um den ganzen Stack aufzumachen von der Hardware zu den Betriebssystemen zu den Anwendungen, die dann darauf laufen und letztendlich wie koordinieren wir, wie funktioniert so ein Ökosystem wie eine Stadt zum Beispiel mit den Prozessen und Interaktionsmöglichkeiten?
Vincenzo: Das klingt alles sehr komplex, und auch spannend. Und ich denke damit einhergehend auch an diese Herausforderungen, diese Innovationen praktisch umzusetzen. Wo liegen denn diese Herausforderungen genau? In der Technologieentwicklung selbst oder in den Unternehmen oder gar in der Gesellschaft – was würdest du sagen?
Max: Du hast ja gerade diese Dimension aufgemacht, in der ich da denken würde. Also einmal ganz konkret bei der Produktion ist es so, wenn man Hardware produziert – und Autos sind ja zu einem erheblichen Teil Hardware, da hat man natürlich ganz andere Produktions- und Planungszyklen traditionell als bei der Software.
Dann, der nächste Aspekt ist die Herangehensweise, die Weltanschauung, das Mindset, mit dem man an so Themen herangeht. Da geht’s dann um solche Fragen, wie kann man den einzelnen Programmierer, Mitarbeiter, so weit powern, dem so viel Vertrauen entgegen bringen, dass sie oder er eigenverantwortlich Teile zusammenträgt, oder wie muss man eine Qualitätskontrolle aufsetzen, bei der so ein hochkomplexes und verteiltes System auf Sicherheit und Verlässlichkeit etc. geprüft wird.
Und die letzte Dimension, die du angesprochen hast, ist ja die gesellschaftliche. Da ist natürlich auch ein Wandel, der zu begleiten ist in Sinne von „will wirklich jeder noch ein eigenes Auto, seine eigene Fortbewegungsmöglichkeiten haben? Oder wie ist der Transportmix, was sind Vorlieben, feste Haltungen, was Nachhaltigkeit, Fußabdruck angeht, den man durch seine Mobilität erzeugt – ich glaube all diese Aspekte zusammen führen dazu, dass wir in der Automobilbranche eine der größten Transformationen, seit sie entstanden ist, beobachten.
Vincenzo: Die 42 Wolfsburg steht für ein alternatives Ausbildungskonzept. Welche Vorteile ergeben sich daraus für die IT-lerinnen und IT-ler in der Praxis?
Max: Ich muss zunächst sagen, ich sehe uns als alternatives, ergänzendes Bildungskonzept. Wir sind also nicht davon überzeugt, dass jetzt die ganze Welt so lernen muss wie es in der 42 passiert. Aber ich glaube, es sind einige Aspekte dabei, die für eine Subgruppe der Lernenden sehr gut funktionieren, und einige, die glaube ich auch in einem weiteren Umfeld attraktiv sind und dann in Universitäten und Schulen usw. übernommen werden können.
Also wenn ich mal ganz plakativ sagen soll: bei uns gibt´s keine Professoren, keine Vorlesungen und bei uns gibt’s auch zum Schluss kein Zertifikat. Und wenn ich das entpacke, dann bedeutet das, bei uns lernt man, indem man sich Lernen, Herausforderungen, Lernprojekten widmet. Und das bedeutet, da steht: Programmiere einen Sudoku-Löser. Und hier ist ein Sudoku-Anfang als Input, zeig uns, dass du das und zehn andere lösen kannst. Und da muss man sich überlegen, was sind denn dann die Elemente, die man dafür braucht? Und so haben unsere Studenten schon von Anfang an eine Eigenverantwortung bei der Lösungsfindung, die ganz anders ist, als wenn da eine Matheaufgabe schon fertig steht und da steht nur noch ein “ist gleich“ und man muss die Berechnung durchführen.
Es gibt keine Vorlesungen, weil die Wissensvermittlung nicht so funktioniert, dass eine oder einer irgendwas erzählt, sondern dass man sich das gemeinsam erarbeitet. Wir glauben nicht, dass es sinnvoll ist, wenn wir versuchen, Bachelor oder Master im klassischen Sinne anzubieten, also einen Abschluss. Sondern bei uns entwickelt man sehr viel konkreten Code und Projekte, d. h. unsere Absolventen haben am Ende des Studiums ein Portfolio, in dem sie zeigen können, was für Projekte sie gemacht haben, wo ihre Stärken liegen, und was sie besonders interessiert - und ich glaube auch, dass das die Zukunft ist, wie wir Software-Entwickler auswählen.
Aber insgesamt habe ich das Gefühl, dass dieses eigenverantwortliche Lernen Studierenden zugutekommt, die dann eben auch intrinsisch motiviert sind und das selber organisieren, was sie lernen, und nicht einen Pfad einfach ablaufen, der ihnen von einem Studiengang vorgegeben wird. Man kann sich sehr viel freier bewegen, und wird dadurch selbstständiger und selbstverantwortlicher auch.
Alina: Welche Rolle spielen diese alternativen und neuen Lernansätze denn beim Umdenken vom Auto zur Software? Also vielleicht gerade bei Lernenden, die schon Berufserfahrung mitbringen und eher aus der klassischen Ingenieurskunst kommen?
Max: Wir haben, um bisschen Einblick in unseren Studentenmix zu geben, wir haben ungefähr ein Drittel der Teilnehmer, die im Moment arbeitslos sind. Die meisten kommen aus Berufen oder direkt aus dem Studium. Und der Altersdurchschnitt ist 28, also wir haben schon viele, die auch schon Berufserfahrung haben. Der älteste Student, der im Mai anfangen wird, ist 57 – also durchaus auch nach oben ein weites Spektrum; ganz unterschiedliche Berufsgruppen, die sich dann hier umschulen und weiterbilden lassen.
Das Mindset, die Weltanschauung, die ich gerade angesprochen habe, sind ganz wichtig in einem so modernen Arbeitsfeld , wo man selber entscheiden muss, wie man seine Zeit einteilt, was für Ziele man sich setzt und letztendlich welche Optionen man versucht, zu verwirklichen in seinem Job.
Und vielleicht noch ein Aspekt: Dinge wie radikale Inklusion sind Aspekte, die wir leben in der 42, wo Studierende Eigenverantwortung übernehmen müssen, sowohl bei ihrem Coden, aber auch in ihrer Teilhabe an der Uni. Das heißt bei uns wird Mitbestimmung im klassischen Sinne, wie wir das bei VW zum Beispiel auch in Form des Betriebsrats und solchen Institutionen kennen, wird bei uns sehr ausgiebig gelebt, d. h. Absolventen kommen dann in die Arbeitsumfelder und haben eine Haltung, eine Praxis im Mitbestimmen und Mitdenken, im unterschiedlichste Herkünfte und Disziplinen akzeptieren, also Inklusion zu leben und wir hoffen, dass das bei Unternehmen sehr gut ankommt und letztlich zu einem organisationellen Lernen und digitalisiertem Update der Unternehmenskultur beiträgt.
Vincenzo: Wir haben uns mal einen Podcast mit dir angehört. Da hast du etwas ganz spannendes gesagt, nämlich: Technologie muss heute mit mehr Eigenverantwortung entwickelt werden. Was meinst du damit und welche Rolle spielen Verantwortung oder Ethik dabei?
Max: Ja, der Bereich interessiert mich sehr. Denn auch bei Google gab´s ja häufiger die Situation, dass Dinge aus Versehen falsch gemacht wurden, irgendwie eine Entwicklung genommen haben, die nicht ideal war für das Unternehmen und die Gesellschaft. Ähnliches kennen wir von Volkswagen und anderen großen Unternehmen. Ich glaube, dass es immer schwierig ist, wenn Verantwortung und eben gerade solche ethischen Fragen in Hierarchien nach oben weitergegeben wird.
Im Internet ist so eine der Grundweisheiten: Die Intelligenz sitzt am Ende des Netzwerks. Und insofern, diese Denke, die Intelligenz sitzt am Ende des Netzwerks, also an den Mitarbeitern, die dann wirklich umsetzen, find ich sehr, sehr greifbar auch im organisationellen, ethischen Sinne.
Das heißt, vor ein paar Jahren habe ich zusammen mit Wissenschaftlern aus Kalifornien ein Paper geschrieben zum hippokratischen Eid für Technologen. Und der hippokratische Eid ist ja für Ärzte so zu sagen, die oberste Regel. Das oberste Axiom ist kein Leid zuzufügen, sondern immer zu helfen, egal in welcher Situation und so kann man auch bei Technologie sagen: Man muss sich immer zuerst fragen, gäbe es negative Auswirkungen durch die Technologie, die ich entwickle, oder die Funktionalität innerhalb einer Technologie? Und die Frage liegt eben beim Einzelnen. Das finde ich eine interessante Herangehensweise, die wir auch experimentell ausprobieren wollen an der 42, wie kommt das an, wie empfinden das die Software-Ingenieure selbst, wenn sie mehr in die Verantwortung genommen werden? Aber eben auch empowered werden, es ihnen ermöglicht wird, dazu Stellung zu beziehen, sich zu beteiligen an den Diskussionen über diese Fragen.
Wichtig erscheint mir hier vor allem, dass das kein zusätzliches Fach ist, was man als eine weitere Aktivität im Curriculum abbildet, sondern dass diese Wertefragen und das Deliberative, das Darüber-sprechen in allen Kursen und Aktivitäten präsent sind, eine Haltung sind, die man trägt, egal ob man privat oder beruflich unterwegs ist, ob man Projektleiter ist oder nur kurz rein kommt. Das sind Fragen, die sollten sich alle stellen, und die können wir auch nur gemeinsam lösen.
Alina: Also Haltung ist anscheinend ein zentrales Merkmal von IT-Teams heute. Was sind denn weitere Merkmale? Wie groß sind die? Wie gehen sie vor? Das hast du ja schon ein bisschen anskizziert, aber die große Frage: Womit beschäftigen sich IT-Teams aktuell? Connectivity oder auch Carsharing sind ja Themen, die gerade schon Gegenwart sind und vielleicht auch noch Zukunft. Womit beschäftigen sich Teams aktuell derzeit?
Max: Super Frage, lass mich bevor ich auf die konkreten Themen eingehe, nochmal auf die Organisationsform eingehen, weil ich glaube, das ist auch ganz interessant für unsere Hörer noch mal diese Zweiteilung zu sehen.
Es gibt einen ganz berühmten Aufsatz: Cathedral and the Bazar - also die Kathedrale und der Basar, der zwei unterschiedliche Entwicklungsmodelle für Software beschreibt:
Die Kathedrale ist der klassische Wasserfall, der Architekt plant ein großes Gebäude wie eine Kathedrale und alle Aufgaben werden verteilt und nach einander koordiniert, auf einander aufgebaut. Das funktioniert offensichtlich sehr gut, wir haben alle schon tolle Kathedralen gesehen und große Organisationen sind meisten so aufgebaut.
Der Basar-Ansatz wäre eher was man so im Internet sieht, oder auch auf anderen offenen Plattformen. Da können unterschiedlichste Leute einfach reingehen, anfangen was zu tun, da gibt’s ein paar Grundregeln, ein paar infrastrukturelle Aspekte, die gegeben sind, aber es herrscht ganz viel Freiheit und Ausprobieren, und ich glaube, die beiden Dinge können sehr gut koexistieren und jeweils voneinander Elemente mit einbringen, um sich zu verbessern.
Und ich glaube, dass wir das auch bei großen Automobilherstellern sehen werden, dass sie mehr und mehr Offenheit zulassen, weil es gut ist, wenn viele Leute drauf kucken, wenn man viele unterschiedliche Ideen miteinander zusammenbringt. Also zu deinen Themen: Ich würde sagen Cyber Security und Sicherheit sind ein Riesenthema, Identitätsmanagement und dadurch auch eine Personalisierung der jeweiligen Leistung sind ein Riesenthema.
Und dann eines der Überthemen, aus meiner Sicht, ist die Frage der Interoperabilität. Wenn wir die tollen Visionen zu Smart Cities und übergangslosen Wechseln zwischen unterschiedlichen Mobilitätsformen usw. denken und uns vorstellen, dann wird ein Aspekt häufig vorausgesetzt, der heute aber noch nicht da ist. Und das ist die Möglichkeit, offene Schnittstellen zwischen den verschiedenen Akteuren herzustellen, es zu ermöglichen, dass nicht nur die Autos oder Vehikel einer Marke, sondern markenübergreifend und länderübergreifend sich aufeinander abstimmen und miteinander interagieren und idealerweise kooperieren.
Das sind ein paar, die vielleicht nicht ganz so offensichtlich sind wie die Künstliche Intelligenz, die das autonome Fahren ermöglicht, Dinge wie Entertainment-Fragen im Auto oder auch Aspekte, die bei der Produktion optimiert werden können, Stichwort Industrie 4.0 und Projekte wie Catena-X, wo es darum geht, eine Lieferkette durch Blockchain und ähnliche Technologien nachvollziehbarer zu machen.
Alina: Spannend, was für Felder du da aufzeigst, in denen die Automobilbranche auf jeden Fall noch IT-Talente braucht. Jetzt mal aus deiner eigenen Perspektive: Du hast deine Zeit im Silicon Valley und bei Google angesprochen. Jetzt bist du in Wolfsburg. Wie ist das für dich und vor allem, wie attraktiv ist auch das Unternehmen Volkswagen oder generell das Thema Unternehmenskultur für IT-Talente, um sich letztendlich für einen Arbeitgeber zu entscheiden?
Max: Also, ich finde Wolfsburg super, meine Schwester wohnt schon seit ganz vielen Jahren dort, und insofern kenne ich es auch ganz gut. Ich finde, Wolfsburg ist deutlich attraktiver als es manchmal dargestellt wird. Zur Kooperation mit Volkswagen kann ich nur sagen: Es läuft super. Meine Erfahrung ist, das es bei so großen Organisationen, das trifft auf Google zu genauso wie auf Volkswagen, dass es ganz viele Teams gibt und kleinere Organisationen, die eine Kultur haben, die ganz unterschiedlich ist, und das geht von sehr klassisch bis total vorwärts gerichtet und progressiv am Zahn der Zeit. Ich war kürzlich beim Digital Lab von Volkswagen in Berlin, das ist von anderen Berliner „IT-Buden“ kaum zu unterschieden. Also ich glaube bei großen Organisationen sollte man immer genau schauen, wie ist der individuelle Kontext und wie ist das Management in meinem direkten Team – und das ist dann entscheidend für die Qualität und Aspekte von Innovation und Programmierung. Und nicht der Gesamtkonzern.
Vincenzo: Max ganz lieben Dank für deine Zeit und diese sehr interessanten Einblicke in dein Arbeitsfeld und in dein Thema. Wir wünschen dir noch einen schönen Tag und ich hoffe, wir hören uns nochmal irgendwann wieder.
Max: Würde mich sehr freuen. Ich freu mich auf den Podcast. Bis ganz bald.
Alina: Danke, dir! Tschau!
Outro
Vincenzo: Total spannendes Lernkonzept, das die 42 an den Tag legt. Dass sie dort komplett ohne Lehrende auskommen und dort die Lernenden an einem Projekt zusammenkommen und dort schon gemeinsam so arbeiten, wie sie es auch in Zukunft machen würden.
Alina: Und dass Eigenverantwortung dabei einen ganz zentralen Stellenwert hat, sowohl in der Eigenorganisation in dieser digitalen Welt als auch letztendlich im Team und in der gesamten Unternehmenskultur.
Vincenzo: Schönes Schlusswort, Alina. Aber lass uns doch mal auf das Thema der nächsten Folge schauen, das da heißt: Sounds of Future: Wie klingt Elektromobilität? Wir freuen uns schon, wenn ihr einschaltet. Macht´s gut.
Alina: Bis dann.